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Vor 100 Jahren (26-28. März 1915): Internationale Sozialistische Frauenkonferenz in Bern

26/03/2015

„Die ganze Menschheit blickt auf euch, ihr Proletarierinnen der kriegführenden Länder. Ihr sollt die Heldinnen, ihr sollt die Erlöserinnen werden!“

Vom 26. bis 28. März 1915 tagte im Volkshaus Bern eine Internationale Sozialistische Frauenkonferenz. Eingeladen hatte Clara Zetkin (1857-1933), die Redaktorin der deutschen Arbeiterinnenzeitschrift „Die Gleichheit“, die seit 1907 zugleich auch das Internationale Sozialistische Frauensekretariat leitete. Erschienen waren Sozialistinnen aus Grossbritannien, Deutschland, Russland, Frankreich, Polen, Italien, den Niederlanden und der Schweiz.

Auf neutralem Boden trafen sich damit erstmals seit Ausbruch des Ersten Weltkriegs Mitglieder sozialdemokratischer Parteien aus beiden kriegsführenden Lagern. Dass dies gerade in Bern geschah war kein Zufall: Die von Robert Grimm (1881-1958) geleitete „Berner Tagwacht“ wurde im Ersten Weltkrieg ein europaweit gelesenen Organ der den Krieg ablehnenden sozialistischen Opposition. Grimm unterstützte die Konferenz zudem organisatorisch.

Die Konferenzteilnehmerinnen verabschiedeten eine Resolution, welche die Kriegsursachen benannte und von den sozialistischen Parteien die Einhaltung der gegen den Krieg gerichteten Beschlüsse der internationalen sozialistischen Konferenzen von Stuttgart (1907), Kopenhagen (1910) und Basel (1912) einforderte. Ziel der Konferenz war gemäss der Resolution eine „Friedensaktion der sozialistischen Frauen“ als „Vorläuferin einer allgemeinen Bewegung der werktätigen Massen für die Beendigung des Brudermordes“. Das einstimmig verabschiedete Manifest (deutscher Text, texte du manifeste en français) rief die Arbeiterinnen aller Länder zum Kampf gegen den Krieg auf: „Die ganze Menschheit blickt auf euch, ihr Proletarierinnen der kriegführenden Länder. Ihr sollt die Heldinnen, ihr sollt die Erlöserinnen werden!“

Die Konferenz setzte ein wichtiges Zeichen gegen den Krieg und für die internationale Solidarität der Arbeiterinnen und Arbeiter. Allein in Deutschland sollen rund 200‘000 Exemplare des Manifests trotz Zensur verbreitet worden sein. Den Behörden der kriegsführenden Staaten erschien die sozialistische Frauenbewegung zunehmend als Bedrohung: Clara Zetkin wurde im Juli 1915, die französische Delegierte, die Lehrerin Louise Saumoneau (1875-1950), im Herbst 1915 verhaftet.

Der Kampf der Arbeiterinnen gegen den Krieg

Es war kein Zufall, dass die sozialistischen Frauen im Kampf für die Wiederherstellung der internationalen Solidarität und den Frieden der Gesamtbewegung vorangingen. Je länger der Krieg dauerte, desto mehr häuften sich sowohl in den kriegsführenden als auch in den neutralen Staaten Protestaktionen gegen die mangelhafte Lebensmittelversorgung und die Teuerung. Häufig wurden diese Proteste von Frauen getragen. Auch an der in den letzten beiden Kriegsjahren einsetzenden und bis in die ersten beiden Nachkriegsjahre anhaltenden gewaltigen internationalen Streikwelle waren ausserordentlich viele Frauen beteiligt. In vielen Industrien hatten Arbeiterinnen im Krieg die zum Militärdienst eingezogenen Männer ersetzt.

Die Kämpfe der Arbeiterinnen trugen massgeblich dazu bei, dass überall das Frauenstimmrecht auf die politische Tagesordnung rückte. In vielen Staaten (Österreich, Deutschland, Grossbritannien, Niederlande, Schweden, Dänemark, Kanada, USA) erhielten die Frauen schliesslich auch während oder unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg das Wahlrecht.

Spannungen mit einem Teil der russischen Delegation

Für einige Misstöne sorgte an der Konferenz allerdings ein Teil der russischen Delegation: Es handelte sich um die Vertreterinnen des Zentralkomitees der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands, der „Bolschewiki“. Sie waren an der Konferenz namentlich durch Frauen aus dem engsten Kreise um ihre beiden einflussreichsten Parteiführer Lenin und Sinowjew vertreten: Nadeschda Krupskaja (1869-1939, Lenins Ehefrau), Inès Armand (1874-1920, einflussreiche Parteiorganisatorin, enge Vertraute und zeitweise wahrscheinlich auch Geliebte Lenins), Zlata Liliana (1882-1929, Sinowjews Ehefrau), Sarra Rawitsch (1879-1957, Exfrau Sinowjews) und Jelena Rosmirowitsch (1886-1953).

Die Bolschewistinnen stellten der von Clara Zetkin zusammen mit den britischen und niederländischen Genossinnen ausgearbeiteten Resolution einen eigenen Entwurf gegenüber. Dieser war massgeblich von Lenin konzipiert worden und enthielt eine scharfe Polemik gegen die Parteiführungen der kriegsführenden Länder und ihre Zustimmung zu den Kriegskrediten. Zudem betonte der Entwurf der Bolschewikinnen, dass auch die Friedensaktion der Frauen als Kampf „mit revolutionären Mitteln“ aufzufassen sei.

Ausser der polnischen Delegierten (Zofia Unszlicht alias Anna Kamienska, 1881-1937), die den Bolschewiki sehr nahestand, lehnten alle übrigen Teilnehmerinnen – auch die beiden weiteren Russinnen, die dem Organisationskomitee der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (Menschewiki) angehörten – diesen Entwurf klar ab.

Zwar betonten die Rednerinnen der Mehrheit, dass sie das Verhalten der Parteiführungen und die Kreditbewilligungen ebenfalls missbilligten. Die Friedenskonferenz der Frauen sei aber nicht der geeignete Ort für die Auseinandersetzung mit dem Versagen der Parteien der meisten kriegsführenden Staaten, eine einheitliche Friedensaktion werde durch derartige Abrechnungen nur geschwächt. Erst nach komplizierten Verhandlungen stimmten schliesslich auch die bolschewistischen Delegierten der Resolution zu, womit die symbolisch wichtige Einstimmigkeit erreicht werden konnte.

 

Lenin nimmt vom Café aus Einfluss

Gemäss den Erinnerungen von Angelica Balabanoff (1878-1965), der italienischen Delegierten, die gleichzeitig an der Konferenz auch als Mitorganisatorin und Übersetzerin wirkte, mussten die Bolschewistinnen dabei vorher allerdings noch Lenins Zustimmung einholen. Er sass während der ganzen Frauenkonferenz in einem nahen Café. Nicht ganz klar ist, ob es sich dabei um das Restaurant des Volkhauses selbst gehandelt hat – von wo aus der bereits 45jährige Lenin gemäss Balabanoff bei der eine Woche später stattfindenden Internationalen Sozialistischen Jugendkonferenz die Delegierten seiner Fraktion instruierte.

Schliesslich wurde ein Kompromiss zwischen der bolschewistischen Delegation und Clara Zetkin geschlossen: die Bolschewistinnen stimmten der Mehrheitsresolution unter der Bedingung zu, dass ihre Minderheitsposition im Kongressbericht erwähnt wurde. Nach dem gleichen Muster handelten die Bolschewiki später auch an den Konferenzen von Zimmerwald (September 1915) und Kiental (April 1916).

Adrian Zimmermann, 26. März 2015

Quellen und Literatur (Auswahl):

Balabanoff, Angelica: Erinnerungen und Erlebnisse, Berlin: E. Laubs’sche Verlagsbuchhandlung 1927, S. 96-103

Balabanoff, Angelica: My life as a rebel, New York: Harper Brothers 1938, S. 130-134

Balabanoff, Angelica: Lenin. Psychologische Beobachtungen und Betrachtungen, Hannover: Verlag für Literatur und Zeitgeschehen 1961, S. 35-41

„Conférence internationale des femmes socialistes, tenue à Berne“, in: La Sentinelle 31 (7.4.1915), Nr. 78, S. 1. http://newspaper.archives.rero.ch/Olive/ODE/LSE_FR/Default.aspx?href=LSE%2F1915%2F04%2F07&pageno=1&entity=Ar00104&view=entity

Quellen zur Entwicklung der sozialistischen Internationale (1907 – 1919) – Die Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenzen. http://library.fes.de/si-online/frauen-intro-dt.html (mit einer Einleitung von Gerd Callesen)

„Die internationale sozialistische Frauenkonferenz in Bern, 26., 27. und 28. März 1915“, in: Die Vorkämpferin 10 (1915), Nr. 5, S. 3 f. http://dx.doi.org/10.5169/seals-350926

Krupskaja, Nadeschda Konstantinowna: Erinnerungen an Lenin, II. Band, Zürich: Ring-Verlag 1933, S. 146-150.

Müller, Eckhard: „Clara Zetkin und die Internationale Frauenkonferenz im März 1915 in Bern“, in: Plener, Ulla (Hg.), Clara Zetkin und ihre Zeit. Neue Fakten, Erkenntnisse, Wertungen, Berlin: Karl Dietz Verlag 2008, S. 54-71. http://www.rosalux.de/publication/26990/clara-zetkin-in-ihrer-zeit-neue-fakten-erkenntnisse-wertungen.html

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