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Marxistischer Sozialwissenschaftler, effizienter Parteiorganisator, linker Regierungsmann – vor 50 Jahren starb Fritz Giovanoli (1898-1964)

26/06/2014

Heute vor 50 Jahren starb Fritz Giovanoli überraschend im Alter von 66 Jahren an einem Herzversagen. Mit dem Tod des damaligen Berner Regierungsrats verlor die schweizerische Sozialdemokratie einen ihrer wichtigsten und konsequentesten Vordenker.
Giovanoli studierte an den Universitäten Basel und Berlin Volkswirtschaft und promovierte 1924 bei Stephan Bauer und Robert Michels mit einer bis heute sehr lesenswerten Dissertation zur Geschichte der Maifeierbewegung. Nach einer Tätigkeit als Direktionssekretär beim Berner Hallwag-Verlag war er 1929-1933 als Chefstatistiker im Eidgenössischen Statistischen Amt tätig. In dieser Funktion leistete er Pionierarbeiten auf dem Gebiet der Politikwissenschaft, so legte er etwa eine der ersten Analysen der schweizerischen Referendumsdemokratie vor. Auf Betreiben des zunehmend in den Dunstkreis des Faschismus rückenden katholisch-konservativen Bundesrats Jean-Marie Musy wurde Giovanoli aus dieser Stellung entlassen, weil er im Auftrag der SPS eine Broschüre über die Kapitalverflechtung in der Schweiz veröffentlicht hatte.
Darauf war „Gio“, wie ihn seine Freunde nannten, von 1933-1946 als Berner Parteisekretär tätig. Dabei stand er an vorderster Front im antifaschistischen Abwehrkampf. So unterstützte er etwa massgeblich die in Deutschland im Untergrund tätige linkssozialdemokratische Gruppe „Neu Beginnen“.
In der von grossen Hoffnungen geprägten Phase unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eroberte Fritz Giovanoli 1946 für die SP den dritten Sitz in der Berner Kantonsregierung. Als Gemeinde- und Sanitätsdirektor legte er den Grundstein für den Aufbau eines modernen Gesundheitswesens im Kanton Bern, wobei er den britischen National Health Service, mit dessen Gründer Aneurin Bevan er persönlich in Kontakt stand, als Vorbild vor Augen hatte. Trotz seinem Regierungsamt blieb Giovanoli auf dem linken Flügel der Partei verankert und spielte Ende der 1950er Jahre eine führende Rolle in der – auch innerhalb der SP – von vielen als „kryptokommunistisch“ diffamierten Bewegung gegen die damals geplante Atombewaffnung der Schweizer Armee.
Leider scheint kein Nachlass von Fritz Giovanoli erhalten geblieben zu sein. Ein weiterer Grund, der zeigt, wie wichtig es ist, dass endlich auch auf dem Platz Bern eine aktive Institution für die Erhaltung des historischen Erbes der Arbeiterbewegung gegründet wird.

Mehr zum Leben dieses bedeutenden, aber leider weitgehend vergessenen Sozialisten findet sich im Nachruf, den die kämpferische Journalistin Emmy Moor, die eng mit Giovanoli befreundet war, für die Rote Revue verfasste:
Emmy Moor: „Fritz Giovanolis Kämpferleben“, in: Rote Revue 43 (1964), Nr. 9, S. 233-236

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